Etappenfahrt 2015: Emsland
Das ist neu für den RTC: Auf der bevorstehenden
Etappenfahrt wird es kein wildes Auf und Ab über Berge und durch Täler geben.
Außer ein paar eiszeitlichen Moränenhügeln ist alles brettflach. Ein Mindestmaß
an Muskelmasse ist dennoch nicht verkehrt, denn die Strecken sind mit bis zu 160
km Länge nicht unbedingt für Freizeitradler mit dem Cityrad geeignet. Außerdem
wird der Wind kein Fahrtwind auf rasanten Abfahrten sein, sondern gemeiner
Gegenwind. Dafür ist die Landschaft sehr schön und eine Radreise unbedingt wert.
Es müssen nicht immer die Alpen sein.
Mittwoch, 3. Juni 2015
Anfahrt nach Meppen
Acht RTCler haben ihr Interesse bekundet, die
Herausforderungen des Emslandes auf sich zu nehmen. Die müssen jetzt erst mal
nach Meppen kommen, unserem Standort für die nächsten vier Tage. Die
Herausforderung besteht weniger in der mit 230 km nicht übermäßig langen
Anfahrt, sondern darin, den Staus zu entgehen – halb NRW ist jetzt zu Beginn des
langen Wochenendes auf dem Weg an die Küste.
Elmar, der mich mit nach Meppen nehmen wollte, wird
leider erst spät von der Arbeit kommen, so dass wir womöglich erst ankämen, wenn
die Küche schon kalt ist. Um das zu vermeiden, habe ich ihm schon gestern mein
Gepäck inklusive Fahrrad gebracht, damit er es heute zusammen mit Toni mit nach
Meppen nimmt. Ich selbst lasse mich nach dem verfrühten Feierabend am Mittag vom
Zug ins Zielgebiet bringen. Abgesehen von einigen halbbesoffenen und
entsprechend lauten Mitreisenden ist es eine angenehme dreistündige Fahrt ohne
Stau und seltsamerweise ohne Verspätungen.
Die erste kleine Fahrgemeinschaft, bestehend aus Horst
und Hugo ist schon da, einige Zeit später treffen Hans-Peter und Detlev ein,
allerdings aus Papenburg. Das ist der Vorteil des Rentnerdaseins: Sie sind
bereits am Morgen losgefahren und haben die Meyer-Werft in Papenburg besichtigt.
Diese Besichtigung war ursprünglich im Tourenprogramm enthalten, war aber leider
aus Zeit- und Kostengründen nicht durchführbar. So kam Detlev schließlich doch
noch zu seiner heiß ersehnten Führung durch die Werft.
Es ist schon Abend, doch immer noch fehlen welche.
Helmut hat nur noch 60 km vor sich, wie mein Wo-steckst-du-Anruf zeigt. Dagegen
sind Toni und Elmar noch am Rand des Ruhrgebiets und werden erst gegen 8 Uhr
eintreffen – zu spät, um mit dem Abendessen zu warten. Doch auch sie kommen
rechtzeitig an. Schnell verstauen wir die Fahrräder in der nur für uns
reservierten Garage, lassen das Gepäck im Auto und kümmern uns ums Essen.
Wir dinieren in gemütlicher Runde im ebenso
gemütlichen Speiseraum und lassen uns die Schweinemedaillons, den Lachs oder den
Gemüseauflauf schmecken. Bis auch der Fruchtsalat vertilgt ist, dauert es einige
Zeit, die uns mit Geschichten über zurückliegenden Etappenfahrten nicht lang
wird. Jetzt noch das Gepäck sinnvoll im Zimmer verteilen, die Klamotten für
morgen bereitlegen, dann bleibt nichts mehr zu tun, als sich für die erste
Etappe fit zu schlafen.
Donnerstag, 4. Juni 2015, 124,9 km, 166 Hm
Bei Friederike von Papenburg
Der Sturm der Vortage ist abgeflaut, bestes Wetter
kündigt sich mit wolkenlosem Wetter an. Die erfrischende Temperatur wird schnell
steigen, so dass wir ohne Kälteschutz losfahren können. Aber erst einmal
frühstücken wir im sommerlich wirkenden Wintergarten.
Das ist ein Buffet wie auf einem Kreuzfahrtschiff!
Wenn wir nicht all die angebotenen Leckereien gleich mühsam durchs Land tragen
müssten, würden wir uns jetzt kreuz und quer durchs Buffet futtern. Doch so
belassen wir es je nach Geschmack bei einer Selektion von Fisch an verschiedenen
Eierspeisen, garniert mit gefülltem Gemüse und natürlich Backwaren. Schließlich
sind alle reichlich mit dem notwendigen Brennstoff für die erste Etappe
ausgestattet.
Zur Einstimmung können wir uns heute Zeit lassen und
fahren erst um 9 Uhr ab, allerdings nur zu sechst, denn Horst und Detlev wollen
eine kürzere Runde fahren. Meppen ist nicht sonderlich groß, so dass wir schon
nach kurzer Fahrt das Stadtgebiet hinter uns gelassen haben und durch den kühlen
Wald nach Norden radeln. Wir durchfahren auf schattigen Alleen ruhige Orte mit
gepflegten Häusern und Gärten, dann wieder Wälder und Felder, überqueren Kanäle,
in deren Wasser man nicht ohne Taucheranzug fallen möchte, und sehen
gelegentlich einen kleinen, sumpfigen Rest des ehemals ausgedehnten Bourtanger
Moors. Die Landschaft ist erstaunlich abwechslungsreich, die allgegenwärtigen
blühenden Rhododendronbüsche um die zahlreichen hübschen Gehöfte bieten was fürs
Auge.
Wir kommen flott voran, nur selten stellen sich uns
Steigungen in Form von Brücken über die Autobahn in den Weg. Schon bald haben
wir das Bourtanger Moor hinter uns, überqueren Ems und Dortmund-Ems-Kanal und
sind bald darauf in Aschendorf. Dass Fronleichnam in Niedersachsen ein normaler
Arbeitstag ist, haben wir bisher kaum gemerkt, denn der Verkehr ist sehr gering.
Das ändert sich allerdings, als wir uns Papenburg nähern und vor uns die
riesigen Hallen der Meyer-Werft über den Feldern aufragen. Hier können wir es
uns verkehrsbedingt nicht mehr erlauben, den Radweg nicht zu benutzen – und das
geht schief. Die hinterlistigen Ausbeulungen der dünnen Asphaltdecke des Radwegs
sind kaum zu sehen. Eine besonders gemeine Beule hat sich Helmut als Opfer
ausgesucht und bringt ihn zu Fall. Zum Glück handelt er sich nur eine
Schürfwunde ein, der verdrehte Lenker ist bald wieder geradegebogen. Es ist nur
noch ein kurzes Stück bis zum Besuchereingang der Werft, wo sich der
Werkssanitätsdienst Helmuts lädierter Wade annimmt.
Wir sind Glückspilze! Die Führung ist zwar abgesagt,
doch das Tor der Montagehalle steht einen Spalt weit offen, wobei in Anbetracht
der Ausmaße der größten Dockhalle der Welt ein „Spalt" immer noch Raum für einen
Lastwagen bietet. Wir sehen den vielstöckigen Rohbau eines Segments eines
Kreuzfahrtschiffs. Irgendwann wird dieses Segment mit anderen zu einem
kompletten schwimmenden Hotel zusammengefügt und über die Ems ans Meer
geschleppt werden. So lange wollen wir nicht warten und setzen unseren Weg über
die Emsschleusen fort. Schlicksäume entlang dem Fluss verraten, dass wir jetzt
den Gezeitenbereich der Nordsee und außerdem mit Null Meter Seehöhe den
niedrigsten Punkt unserer Etappenfahrt erreicht haben. Man kann demnach kaum von
der „Königsetappe" sprechen. Dafür haben wir Kaiserwetter.
Bald sind wir in Papenburg und genehmigen uns in der
herrlich stillen Fußgängerzone am Hauptkanal ein italienisches Mittagessen.
Weiter geht die Fahrt entlang dem Kanal mitten durch die Stadt, allerdings im
Kriechtempo. Alle paar Meter halten wir an, sehen uns hier eine Klappbrücke nach
holländischem Muster an, da eine Windmühle, dort ein Segelschiff. Der besondere
Leckerbissen ist der Küstensegler „Friederike von Papenburg" neben dem ebenfalls
sehenswerten Rathaus. Hermann, der nicht an dieser Etappenfahrt teilnimmt, wird
stolz auf uns sein: wir machen sogar ein Gruppenbild! Das fällt bei nur sechs
Radfahrern leicht, wir sind entsprechend schnell fertig und nehmen Fahrt in
Richtung Süden auf.
Bald liegt Papenburg hinter uns und vor uns taucht
eine dunkle Linie auf, die sich quer durch die Landschaft zieht. Es ist die
stillgelegte Transrapidteststrecke. Ihr folgen wir Kilometer um Kilometer bis
zum ehemaligen Transrapidmuseum in Lathen. Es ist nicht mehr viel übrig von dem
ehemals vielversprechenden Projekt, das Kurzstreckenflüge überflüssig machen
sollte. Das Museum verfällt, von der Bahn stehen nur noch die Betonteile, die
Elektrik ist abgebaut. So kommt es, dass wir mit dem Fahrrad schneller sind, als
es ein Emsländer Transrapid je werden kann.
Nach vielen waldigen Kilometern durch welliges Gelände
ist Haren erreicht und danach der Industriepark mit dem sinnvollen Namen
Industriepark, der vom Kühlturm des ehemaligen Meppener Gaskraftwerks überragt
wird. Das Besondere an diesem Turm ist die riesige Weltkarte in eigenwilliger
Kartenprojektion, die Mercator im Grab rotieren lassen würde. Nun sind es nur
noch wenige Kilometer bis Meppen. Und schon ist die erste Etappe vorbei.
Bis zum Abendessen bleibt noch genügend Zeit, um in
aller Ruhe die Innenstadt von Meppen anzusehen. Es ist ein putziges und im
Vergleich zu rheinischen Siedlungen äußerst sauberes und gepflegtes Städtchen
mit einigen architektonischen Sehenswürdigkeiten rund um den Marktplatz. Eine
Weile lassen wir uns auf dem Steg über den Dortmund-Ems-Kanal die warme Sonne
auf den Pelz brennen und sehen den Ruderern beim Paddeln zu. Sollen die sich
doch anstrengen, wir haben unser Tagwerk geschafft.
Auch Horst und Detlev waren nicht untätig. Sie sind 85
km geradelt, können aber die genaue Fahrstrecke nicht mehr nachvollziehen. Horst
behauptet, dass es überall gleich aussieht: Eine gleichförmige Mischung aus
Bauernhöfen, Wäldern und Feldern, die die Übersicht erschwert. Vielleicht kann
man sich dann leicht verfahren, dafür wird aber die Landschaft nie langweilig,
ganz anders als im eintönigen, von der Flurbereinigung zerstörten
Landschaftsbild der Zülpicher Börde.
Jetzt steht nur noch das Abendessen auf dem Programm.
Wie man es von einem Vier-Sterne-Hotel erwarten darf, ist es wieder äußerst
schmackhaft. Mein böhmisches Schnitzel ist nicht halb so anstrengend zu
verspeisen wie die gebratene Scholle, der man erst noch jede Gräte einzeln aus
dem Leib ziehen muss. Eis mit (aromatischen!) Erdbeeren rundet das Mahl ab und
beschließt den ersten Tag der Etappenfahrt.
Freitag, 5. Juni 2015, 151,9 km, 266 Hm
Ins friesische Saterland
Die einzige Wetteränderung, die heute zu erwarten ist,
ist die mit 34° ungemütlich hohe Temperatur. Die Sonne wird uns auch heute
lachen und eine ordentliche Schicht Sonnenmilch erfordern.
Wegen der längeren Fahrstrecke beginnt die Tour schon
um 8:30 Uhr, außer für Horst und Detlev, die gesundheitsbedingt wieder eigene
Wege gehen bzw. fahren werden. Und los geht die Fahrt, noch in relativer
Morgenfrische. Meppen liegt schnell hinter uns und bald haben wir Apeldorn
erreicht und den ersten Besichtigungspunkt auf dieser Etappe. Wir sehen uns das
Großsteingrab „Steinerner Schlüssel" an. Es ist nicht mehr vollständig erhalten
(jemand hat den Deckel geklaut) und inzwischen unbewohnt.
Wir radeln auf verkehrsarmen Straßen entlang dem
großen Meppener Schießplatz, wo man neue Waffen testet, mit denen Menschen
umgebracht werden können. Allmählich, kaum wahrnehmbar, schleichen sich Wellen
ins Gelände, man könnte sie fast als Steigungen bezeichnen. Wir haben den
Hümmling erreicht, ein hügeliges und waldiges Gebiet, eine Grundmoräne aus der
Eiszeit. Sögel ist rasch durchfahren, selbst die Wahnsinnssteigung von fast 20
Höhenmetern meistern wir mit Bravour. Wellig und waldig geht es über Börger
weiter nach Norden bis zum Rand des Hügellandes, mal auf dem Radweg, meist auf
der Straße. Es ist schon seltsam, dass fast immer das blaue Radwegegebotsschild
und das Warnschild „Radwegschäden" zusammen auftreten. Die Strapazen der ein-
und zweiprozentigen Steigungen werden mit einer rasanten 5%-Abfahrt durch die
wahrscheinlich einzigen geländebedingten Kurven im westlichen Teil
Niedersachsens belohnt.
Schnurgeradeaus und brettflach führt die Straße
Kilometer um Kilometer entlang von Kanälen voll mit unappetitlich braunem Wasser
und laut quakenden Fröschen. Der nächste Besichtigungspunkt wäre die
Autoteststrecke Papenburg gewesen, wo seinerzeit die A-Klasse von Mercedes ihre
Probleme mit den Elchen hatte. Doch zu sehen ist nichts, die Brücken über das
Testgelände sind mit allen Finessen gegen neugierige Blicke geschützt, damit nur
ja nichts über etwaige neue Automodelle in Erfahrung gebracht werden kann.
Wir haben Südfriesland erreicht. Wild kurvt die Straße
in engen Windungen um das ehemalige Große Moor herum, dessen nördlicher Teil von
den über 300 m hohen Masten der Marinefunksendestelle dominiert wird. Vorbei an
den ausgedehnten friesischen Fehndörfern gelangen wir ins Saterland, wo man
Saterfriesisch spricht, das als eigene Sprache gilt und sogar in der Schule
unterrichtet wird. Die Ortsschilder sind dementsprechend zweisprachig.
Die dritte und für heute letzte Besichtigungspause
gilt der Windmühle in Ramsloh/Rommelse. Das Besondere an dieser Mühle ist, dass
sie nicht pikobello restauriert als Museumsstück dasteht, sondern dringend
renovierungsbedürftig und dennoch in Betrieb ist, um Futtermittel herzustellen.
Aber jetzt haben wir nach 75 km ausreichend Hunger für eine ausgiebige
Mittagspause.
Das Saterland ist Notstandsgebiet, was die Gastronomie
anbelangt. Fast alle der wenigen Gaststätten und Grills haben mittags
geschlossen, nur das „Grill-Eck Seelter Äi" in Scharrel/Skäddel ist geöffnet.
Die Wirtin gibt Auskunft: Der Name ist die friesische Variante der Sagter Ems,
die dem Landstrich ihren Namen gab. Wie auch immer, Grillteller und Salat
schmecken gut und liefern zusammen mit viel Cola genügend Brennstoff für die
Weiterfahrt.
Es ist ungemütlich warm geworden, die 30°-Marke ist
geknackt. Vielleicht ist es ganz gut, dass wir jetzt den strammen Wind ins
Gesicht bekommen, der ein wenig kühlt. Wir fahren aber auch nicht permanent in
der Sonne, sondern haben oft Schatten im gar nicht so seltenen Wald und durch
die Bäume in den Dörfern.
Da es weder Steigungen noch Gefälle gibt, hilft nur
Treten, Treten, Treten. Auf die Dauer ist das mühsam und bekommt den Beinmuskeln
nicht gut. Kein Wunder, dass wir in Werlte eine kurze Pause im Schatten
einlegen, wo wir ein bisschen abkühlen und auch einen Blick auf die zwar
formschöne und schnuckelige, aber arbeitslose Windmühle werfen können.
Weiter geht die einförmige Treterei. Man kann sich
aber auch die Zeit vertreiben, indem man nicht auf den Hinterreifen des
Vordermanns starrt, sondern die schöne Landschaft und die hübschen Dörfer
betrachtet.
Durch Wälder und Felder erreichen wir Haselünne, ohne
dem hier herumgeisternden, irgendwo ausgerissenen Känguru begegnet zu sein. Und
wieder wird eine Pause verlangt, 17 km vor dem Ziel. Aber auch 17 km können ganz
schön lang werden, besonders wenn es heiß ist und der Wind die falsche Richtung
hat. So lassen wir uns in der verkehrsreichen, angeblich verkehrsberuhigten
Haselünner Innenstadt im Café nieder, um uns mit Cola und Apfelschorle
abzukühlen.
Die restliche Strecke ist bald geschafft, zumal der
Wind jetzt wieder unser Freund ist und uns nach Meppen schiebt, wenn er nicht
vom Wald abgehalten wird. Bald sind wir im Hotel, wollen bei mittlerweile 35°
unsere Räder in den Stall sperren – und müssen uns mit Neuankömmlingen um die
Garagen balgen. Von wegen, wir hätten eine der Garagen für uns. Jetzt zeigt
sich, dass das Emsland in der Tat eine der beliebtesten Regionen für Radwanderer
ist. Und wenn man es mit Amateuren zu tun hat, kann die Logistik ganz schön
lange dauern. Schließlich sind unsere Räder verstaut, wir haben die anderen mit
ihren bleischweren Rädern einfach in die andere Garage geschickt und den Laden
zugemacht. Jetzt freue ich mich auf die Dusche. Dass sich meine Mitfahrer lieber
sofort verschwitzt auf der Terrasse zum Biertrinken niederlassen, wundert mich
nicht im Mindesten.
Detlev und Horst sind auch schon da. Sie sind mit dem
Zug nach Emsdetten gefahren und haben sich mit einem Abstecher ins Wiehengebirge
von demselben Wind „heim" schieben lassen, der uns einige Mühe bereitet hat.
Bald ruft das Abendessen. Oder besser, wir rufen nach
ihm, denn das Personal hat durch die komplette Auslastung des Hotels alle Hände
voll zu tun. Wenn nur die Teller ebenso voll wären. Es reicht aus, man wird
satt, aber für unsere 152 km dürfte es gerne etwas mehr sein. Immerhin schmecken
die Hühnerbrüstchen und die Fischröllchen. Man hat sogar an unseren Veganer
gedacht und auch ihm ein Menü zur Auswahl zusammengestellt.
Morgen steht die längste Etappe auf dem Programm. Doch
nach der heutigen, schweißtreibenden Fahrt spielen manche mit dem Gedanken, sich
Detlev und Horst auf ihrer Fahrt nach Emden anzuschließen, von wo sie mit dem
Zug nach Meppen zurückfahren wollen. Dass ich extra für den Fall von Überlastung
eine um 29 km kürzere Variante im Angebot habe, scheinen sie vergessen zu haben.
Die Entscheidung wird sicher nicht nur von meiner und Elmars als zu hoch
angesehenen Geschwindigkeit beeinflusst (wir können ja auch in zwei Gruppen
fahren), sondern auch von der Temperatur. Die Natur arbeitet daran: schon
donnert es, die ersten Gewitter machen sich daran, die Hitze weg zu schieben.
Und morgen früh sieht dann alles viel schöner aus.
Samstag, 6. Juni 2015, 164,0 km, 335 Hm
Gegenwind im Osnabrücker Land
Erst nach dem wie immer reichhaltigen Frühstück, das
auch Touren bis ans Ende der Welt ermöglicht, erklärt mir Hugo beim Aufzäumen
der Räder auf meine Frage, dass er und die anderen mit Detlev und Horst nach
Emden fahren wollen, statt ins Osnabrücker Land. Man kann es auch positiv sehen:
Ich freue mich auf eine schnelle Fahrt zusammen mit Elmar auf der geplanten
Runde.
Die Gewitter haben ganze Arbeit geleistet und die
Temperatur auf ein erträgliches Maß zurechtgestutzt. Dummerweise hatten sie
einen ganzen Sack voll Wind im Gepäck (einen Windsack). Noch bedeutet das für
uns Rückenwind, aber das wird sich ändern.
Wir kommen erwartungsgemäß gut auf den noch nassen
Straßen voran und radeln durch Felder und vor allem Wälder stracks gen Osten,
mal auf guten Straßen, mal auf buckligen Pisten, die jedes Schräubchen am
Fahrrad auf eine harte Bewährungsprobe stellen. Durchgerüttelt erreichen wir
Russland. Nicht, dass wir so weit übers Ziel hinausgeschossen wären – Russland
ist der Name einer Ansammlung von Bauernhöfen.
Da kommen Berge auf uns zu! Aber halb so wild, es sind
nur die Kuppen der Ankumer Höhe, einer Endmoräne, die ein Eiszeitgletscher ohne
Ordnungssinn hier im Weg hat liegen lassen. Eine schöne Fahrt nach Süden durch
die Wellen der waldigen Ankumer Höhe schließt sich an, hier und da unterbrochen
von einer kurzen Pause, um die sehenswerten Gutshöfe des Osnabrücker Landes zu
betrachten.
Schon sind wir an der Abzweigung, von wo wir zum
Mittagessen abbiegen müssten. Doch es ist noch viel zu früh für die
Nahrungsaufnahme, das Frühstück wirkt noch nach. Mühsam hatte ich ein Restaurant
ausfindig gemacht, das nicht mittags geschlossen hat. Dafür hatte ich noch
vorgestern den Streckenverlauf ändern müssen, doch umsonst. Schade – jetzt
können wir uns nicht daran erfreuen, wie die Getränke mit Modelleisenbahnen an
die Tische gebracht werden. Da haben die Emden-Fahrer was verpasst. Wir radeln
also mit Hochgeschwindigkeit auf der ursprünglich geplanten Strecke weiter, das
Mittagessen verschieben wir.
Die Fahrtrichtung ändert sich ab Ueffeln nach Westen.
Und das ist böse, denn jetzt haben wir den Wind meistens von vorn. Wir haben uns
von Anfang an alle 10 km in der Führung abgewechselt. Jetzt ist das Verfahren
auch notwendig, denn mit über 30 km/h gegen den heftigen Wind anzukämpfen hält
man bei Windstärke 4 nicht lange durch. Wenn dann noch die ruppigen Straßen
zusätzlich Kraft erfordern, um über die Asphaltrippen zu hüpfen, sind wir über
jedes Wäldchen froh, das uns den Wind ein bisschen abhält. Wir könnten natürlich
auch langsamer fahren, aber wozu?
In Hopsten im Tecklenburger Land legen wir die
Mittagspause ein, wie gestern in einem Grill. Die Portionen sind mehr als
ausreichend, Elmar wird noch bis zum Ende der anstrengenden Tour von seinem
riesigen Schnitzel zehren, auch meine Käsefrikadelle enthält Kalorien satt. Dass
ich später einen Korb voller vorgegarter Schnitzel auf dem Boden gleich neben
der Klotüre entdecke, kann mir den Appetit jetzt auch nicht mehr verderben.
Weiter geht die schnelle Fahrt, immer nach Westen,
immer gegen den Wind, der noch an Kraft zunimmt. Doch schließlich haben wir die
Ems erreicht und biegen in Emsbüren nach Norden ab. Vielleicht geht es jetzt
leichter? Nein, der Wind hat allmählich auf Nordwest gedreht. Wie das wohl den
Emden-Fahrern auf ihrem Weg nach Norden bekommt? Sie werden ihre liebe Not mit
den Luftmassen aus der falschen Richtung haben.
Wir haben Lingen erreicht, bestaunen die verschiedenen
Kraftwerke, darunter ein stillgelegtes und ein aktives Kernkraftwerk, und setzen
unsere Reise in Richtung Meppen fort. Die Landschaft war im Tecklenburger Land
nicht mehr so sehenswert, doch seit wir wieder im Emsland unterwegs sind, haben
wir wieder den Wechsel von Feldern und Wäldern, der das Emsland auszeichnet.
Zudem ist das Wetter schön geworden, die Sonne scheint bei angenehmer Wärme. Der
Wind – na ja…
Auch wenn die Fahrt an den Kräften zehrt, bauen wir
einen Abstecher ein, um uns den Geester Speichersee anzusehen. Er dient als
Kühlwasserspeicher für das Lingener Kernkraftwerk, falls der Emspegel zu niedrig
für die Wasserentnahme ist. Auch wir würden gerne unseren Flüssigkeitspegel
auffüllen und fragen in der Segelschule nach. Statt uns den Weg zum
Ausflugslokal zu zeigen, schenken sie einfach kostenlose Cola aus. Weiter geht
die Fahrt, und schon bald ist Meppen erreicht.
164 km mit einem Schnitt von 30,6 km/h – das kann sich
sehen lassen. Dass die anderen um 15 Uhr noch nicht da sind, war zu erwarten.
Wir nutzen die Zeit, um in der Stadt in aller Ruhe einige Kugeln Eis zu
verdrücken und den Flüssigkeitshaushalt in Ordnung zu bringen. Das dauert eine
Weile, doch noch immer lassen sich die anderen nicht blicken.
Die telefonische Korrespondenz mit den
Frieslandfahrern besagt, dass sie gegen 19 Uhr mit dem Zug ankommen werden. Ich
spiele das Empfangskomitee und weise ihnen den rechten Weg durch die Bauzäune am
Bahnsteig, nachdem der Zug endlich mit einer Viertelstunde Verspätung angekommen
ist.
Die Fahrt hat ihnen gefallen, wenn nur der Wind von
der richtigen Seite gekommen wäre. Besonders das letzte Stück nach Emden war ein
hartes Stück Arbeit. Den Brennstoff dafür haben sie bei ausgiebigen Pausen in
Rhede und Leer gebunkert. So waren die 110 km letztlich doch zu meistern. Man
hätte natürlich die Wettervorhersage beherzigen und die Strecke in der
umgekehrten Richtung radeln können. Dann wäre der Wind weniger problematisch
gewesen, und auf der von mir geplanten kurzen Runde sowieso. Jetzt aber zum
verspäteten Abendessen.
Es wirkt sich vorteilhaft für uns aus, dass nur noch
wenige andere Gäste im Hotel essen, denn wir bekommen unsere Rationen (etwas)
schneller als sonst ausgeteilt. Auch eine Suppe ist diesmal dabei und wie immer
ist alles sehr lecker.
Sonntag, 7. Juni 2015, 76,3 km, 44 Hm
Ein Abstecher nach Holland und die Heimfahrt
Jetzt kann in meteorologischer Hinsicht nichts mehr
schief gehen: Wieder ist der Himmel tiefblau, von Regen keine Spur, und auch der
Wind ist gemäßigt – die Temperatur allerdings auch. Zum letzten Mal bedienen wir
uns am reichhaltigen Frühstücksbuffet und radeln los, bevor uns die
Schützenkompanien vertreiben, die ausgerechnet auf dem Hotelparkplatz ihren
Aufmarsch haben.
Die Fahrstrecke in Richtung Holland ist typisch für
flaches Land: lange Geraden, dann mal ein Knick und wieder lange geradeaus.
Nicht sehr spannend, aber dafür muss man nicht permanent darauf achten, aus der
Kurve getragen zu werden (dabei hilft unsere rentnergerechte Geschwindigkeit)
und kann stattdessen auch mal einen Blick auf die Erdölpumpen des Emsländer
Erdölgebiets und auf die Torfstiche riskieren.
Unmittelbar vor der holländischen Grenze biegen wir
ab, kommen aber nicht weit, weil man uns die Straße weggerissen hat. In diesem
Fall ist der ruppige und verbeulte Fußweg die Alternative, die es uns erlaubt,
den kilometerlangen Umweg zu vermeiden. Weiter geht es nach Westen entlang dem
Coevorden-Piccardie-Kanal und vorbei an kleinen Moorflächen (garniert mit toten
Nutrias auf der Straße) in Richtung Emlichheim, wo wir nach Norden abbiegen und
nach kurzer Fahrt schließlich nach Holland „einreisen".
War der Feldweg nach Schoonebeek noch absolut
fahrradtauglich, so ist die weitere Fahrt nach Amsterdamsche Veld das blanke
Grauen. Ich hatte es schon befürchtet: Zwar tun die Holländer viel für die
Radfahrer und spendieren ihnen in der Regel zweispurige Radwege. Dies aber zu
dem Preis, dass dann die Straßen für Radler tabu sind. Und schon taucht das
erwartete Verbotsschild vor uns auf. Schön, ich habe vorgesorgt und einen
Parallelweg eingeplant. Doch keiner hat mir gesagt, dass das ein Backsteinweg
ist, der Räder und Radler auf die härteste Probe stellt. Für Hollandräder mit
Ballonreifen sicher kein großes Problem, aber für Rennräder ohne jede
Stoßdämpfung ist die Piste völlig untauglich. So fahren wir bei nächster
Gelegenheit wieder auf die für uns gesperrte Straße.
Jetzt bestätigt sich eine Erfahrung, die ich schon oft
in Holland gemacht habe: Zwar gilt das Land als fahrradfreundlich, aber sobald
der Holländer eine Windschutzscheibe vor sich hat, gibt es keine Radfahrer mehr,
sondern nur noch Verkehrshindernisse. Wir werden oft angehupt, einer droht mit
der Faust. Die entscheidenden Autofahrer verhalten sich zum Glück neutral: Sie
sitzen in einem Auto mit blauem Kennzeichen – es ist die Polizei. Vielleicht
wissen die Polizisten, dass nicht jeder Rennradfahrer Gefallen an Touren nach
dem Muster der kopfsteinpflasterverseuchten Flandern-Rundfahrt findet und wir
deshalb die wirklich ausgezeichnete Straße benutzen; sie lassen uns unbehelligt.
Erica ist erreicht, die Windmühle „De Heidebloem"
lassen wir als Besichtigungspunkt aus und konzentrieren uns lieber auf die
Rüttelpiste entlang dem Kanal. Wenigstens gibt es hier keine
Zweiklassengesellschaft, die Straße ist für alle Verkehrsteilnehmer
gleichermaßen schlecht. Endlich sind wir auf freiem Land, bereits auf dem
Rückweg nach Meppen, und sowohl die gute Straße als auch der Rückenwind
ermöglichen wunderbares Radfahren. Noch zwei hässliche Kilometer über ein
Waschbrett in Zwartemeer, dann hat das holländische Elend ein Ende. Schade – so
eine hübsche Landschaft, aber fürs Rennradfahren kaum geeignet. Jedenfalls in
diesem Teil des Landes, sozusagen im Zonenrandgebiet.
Wir sind wieder in Deutschland, haben bald
Schöninghsdorf erreicht und machen kurz vor dem Mittagessen eine Kaffeepause.
Seit letztem Jahr erfreuen sich Kaffeepausen großer Beliebtheit. Ein Stück auf
einer abgefrästen Straße, dann sausen wir los, die letzten Kilometer nach Meppen
hinter uns zu bringen.
In Holland waren es die Pflastersteine, in Deutschland
sind es Teerflicken, die uns auf den letzten Kilometern nochmals gehörig
durchschütteln. So haben wir heute anscheinend die schlechtesten Straßen des
Emslands und von Holland erwischt. Wobei gesagt werden muss, dass die
emsländischen Straßen insgesamt sehr gut sind und auch viele der
allgegenwärtigen Radwege von Betonplattenpisten in befahrbare Wege umgebaut
wurden.
Wir packen unsere Siebensachen und laben uns an einem
schmackhaften Mittagessen im Hotel, die Schützen haben uns was übrig gelassen.
Jetzt müssen wir nur noch alles einpacken und heimfahren.
Man sagt, dass man auf der Autobahn immer dieselben
Autofahrer trifft. Richtig, den Herrn im silbernen Mercedes neben uns kennen
wir: Hans-Peter ist ebenso im permanenten Stau bei Legden-Ahaus gefangen wie
wir. Es dauert lange, bis wir Stau und Baustelle hinter uns haben, wenig
überraschend, denn wir gehören ebenso zur Rückreisewelle des langen Wochenendes,
wie die, die jetzt im 30 km langen Stau bei Cloppenburg stecken. So gesehen
haben wir noch Glück. Die weitere Fahrt nach Süden verläuft dagegen flüssig. In
Sichtweite des nächsten Staus bei Leverkusen biegen wir ab und haben jetzt freie
Fahrt. Erst liefern wir Toni ab, dann bin auch ich zu Hause.
Diese Etappenfahrt hat eines bewiesen: Es müssen nicht
immer Berge sein. Zwar spricht die Tatsache für sich, dass wir auf den etwa 500
km so gut wie keine Rennradfahrer gesehen haben, doch man kann ja mal über den
Tellerrand gucken und weiße Flecken von der Tourenkarte des RTC tilgen. Wo die
sportlichen Herausforderungen geringer sind, als in den Alpen, hat man die
Gelegenheit, die Landschaft eingehender zu betrachten. Und das ist im Emsland
immer angeraten, denn hier ist es schön – den entsprechenden Geschmack
vorausgesetzt. Zumal wir mit dem durchgängig traumhaften Wetter den Sechser im
Lotto gewonnen haben.
Im kommenden Jahr ist wieder eine klassische
Rennradregion das Ziel der wieder achttägigen Etappenfahrt, nämlich Mallorca.
Dort wird es sicher fast so schön sein, wie im Emsland und etwas hügeliger als
im Hümmling. Mit schönem Wetter darf auch gerechnet werden.